„Oh mein Gott, Sie wollen wirklich den Jakobsweg wandern? Der ist doch mittlerweile total überlaufen…“
Dies war die erste Reaktion meiner Chefin, als ich sie vor ein paar Monaten um einen dreiwöchigen, unbezahlten Urlaub für meinen Camino Portogues bat. Einige Minuten vorher hatten wir den täglichen Pressespiegel durchgesprochen. Auf der letzten Seite der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung war ganzseitig vom mittlerweile grenzwertigen Pilgertourismus in Santiago de Compostella zu lesen. Von partywütigen Reisegruppen, welche die Anwohner der Pilgerstadt mittlerweile an den Rand der Akzeptanz und Belastbarkeit brachten.
Ich lächelte ein wenig verlegen.
„Naja, der Pilgerweg ist ja nicht nur die Stadt Santiago“, entgegnete ich. „Außerdem laufe ich nicht den Camino Frances, sondern den portugiesischen Jakobsweg. Der ist noch nicht so überlaufen.“
Dieser Dialog war nur der erste von vielen Gesprächen, die ich in den kommenden Wochen über meine Entscheidung führte, nach mehr als zehn Jahren Wunschtraum endlich den Jakobsweg zu pilgern.
„Wo übernachtest du? Doch nicht in diesen Pilgerherbergen, oder? Na, deine Jugendherbergszeiten sind doch mittlerweile wohl auch vorbei.“
Eine meiner Kolleginnen war sichtlich geschockt, als wir über den Weg sprachen und ich ihr berichtete, die Übernachtungen nicht vorplanen, sondern spontan auf mich zukommen lassen zu wollen. Genau diese Spontanität wäre ja Teil des Weges und eine Übernachtung in Luxushotels wohl nicht wirklich das, was ich mir unter einer Pilgerreise vorstellte.
„Na, dann nimm dir mal schön was gegen Fußpilz mit“, war ihr abschließender Kommentar.
„Gehst du den Weg etwa alleine?“
Diese Frage habe ich in den letzten Wochen von vielen Frauen aus meinem beruflichen und privaten Umfeld gehört und mit: „Auch das ist Teil meines Weges“ beantwortet.
„Oh Gott, das würde ich mich nicht trauen“, waren sich die Frauen aus meiner heimischen Pilgergruppe einig.
„Pass bloß auf, dass du wieder heile nach Hause kommst. Wir brauchen dich noch“, hatte mir meine Mutter mit auf den Weg gegeben.
„Naja, auf dem Jakobsweg bist du wahrscheinlich nie alleine. Und auch Gott wird dich immer begleiten“, hatte mir eine Seelsorgerin optimistisch zugesprochen.
„Wir werden sehe, ob Ihr kaputtes Zehgelenk Ihnen den Weg am Ende übelnehmen wird“, hatte mir mein Fußorthopäde in unserer letzten Sprechstunde mit auf den Weg gegeben.
„Portugal? Hat es da nicht letztes Jahr gebrannt? Na, dann viel Spaß bei 45 Grad im Schatten!“
Es gibt tausend gute Gründe, um den Jakobsweg nicht zu pilgern. Viele von ihnen wurden mir im Verlauf der letzten Monate mitgeteilt. Als gut gemeinte Ratschläge. Als Bedenkenträger. Als Ausdruck der Sorge um mich. Und wahrscheinlich haben sie alle vielleicht eine Berechtigung. Es gibt immer viele gute Gründe, etwas nicht zu tun. Viele Gründe GEGEN meine Pilgerreise.
Aber es gibt einen ganz wichtigen Grund DAFÜR. Weil er mich ruft! Weil alles in mir schreit, dass ich ihn gehen muss. Weil es mein Weg ist, der darauf wartet, beschritten zu werden. Seitdem ich vor elf Jahren Zyklus für Zyklus bei jeder Chemotherapie das Hörbuch von Hape Kerkelings „Ich bin dann mal weg“ gehört habe.
„Wie lange bist du weg?“, fragte mich vor einigen Wochen mein kleiner Sohn.
„Drei Wochen“, antwortete ich.
„Drei Wochen sind zu lange. Ich werde dich ganz schön vermissen.“
Es ist dieser Satz, der meine Pilgerpläne für einen Moment ziemlich ins Wanken gebracht hat. Meinen siebenjährigen Sohn für so eine lange Zeit allein zu lassen, würde mein Herz nur schwer verkraften, wenn ich diesen Gedanken bis ganz zu Ende denken würde. Also verkneife ich mir den Drang, meine Schuldgefühle hochkommen zu lassen und weiß, dass ich darauf vertrauen kann, dass mein Kind bei meinem Mann und meiner Familie in den besten Händen ist.
„Lieber Gott, wenn ich nach diesem beschissenen Krebs wieder ganz gesund werde, dann laufe ich auch den Jakobsweg.“
Dieses Versprechen habe ich mir und meinem Leben gegeben. Nach mehr als zehn Jahren wiedererlangter Gesundheit wird es Zeit, dieses Versprechen endlich einzulösen.
Ich bin mir sicher, dass es mehr als tausend gute Gründe FÜR diesen Weg geben wird und ich freu mich riesig, sie endlich herauszufinden.
Hallo Susanne, lass dich nicht von anderen beirren. Von deinem Sohn… nun ja…, das verstehe ich, dass das schwer wird. Wenn so ein kleiner Kerl sagt „drei Wochen sind ganz lang“. Einen ähnliche Geschichte hatte ich auch. Wir sind mit einer Reisegruppe im Bus nach Irland gefahren. Da gab es auch genug Einwände vorher. Bus, so viele Menschen, wenn man sich dann nicht versteht, wenn da so ein paar Quertreiber dabei sind. Würde ich ja nie machen. Und was war? Wir waren so eine tolle Truppe und haben uns alle verstanden. Man kann vorher nie wissen was wird. Nun hast du so lange gewartet und bist so gut vorbereitet (ich verfolge das bei Instagram ;) ) Die Erfahrungen wirst du nie vergessen. Meine 40-jährige Nichte ist den Jakobsweg auch in Portugal gegangen. Allein. Wenn du dann zurück bist, dann hat deine Familie und vor allen dein Sohn eine glückliche Mama und du wirst stolz auf dich sein, dass du das geschaft hast.
Liebe Grüße
Gudrzun
Liebe Gudrun,
ja, das denke ich mir auch. Es läuft immer anders, als man denkt ;-) Danke dir für deinen Zuspruch! Den werde ich auf den Weg mitnehmen.
LG
Susanne