„Bist du schwanger, oder was?“
Sie sind wieder da, die Fragen und Bemerkungen. Ich habe sie alle gehört in den letzten anderthalb Jahren. In 2013 und 2014. Und auch in 2015 werde ich mich vor Spekulationen und merkwürdigen Blick nicht retten können. In allen möglichen und unmöglichen Situationen. In allen Formen und Varianten. Teilweise in doppelter oder dreifacher Ausführung. Häufig nur nett und höflich gemeint, manchmal aber einfach nur gedankenlos in den Raum geschmissen. Frohes neues Jahr!
Manchmal frage ich mich, ob man wirklich eine ehrliche Antwort von mir erwartet. Vielleicht ja, vielleicht nein. Eigentlich auch egal. Fakt ist, dass mich diese Frage immer wieder in meinem Innersten trifft.
Kaum stehe ich bei der Arbeit einmal zu sehr im Hohlkreuz (weil meine Bauchmuskeln auch keine zwanzig mehr sind) und halte mir den von zu vielen Süssigkeiten schmerzenden Bauch, fällt mir die Frage wie aus dem Nichts vor die Füsse: „Bist du etwa schwanger?“
„Bin ich etwa fett geworden?“, ist meine nach aussen gerichtet Reaktion.
Verdammt, du solltest bei der Schokolade mal wieder etwas kürzer treten, denn ‚Nein‘, du bist nicht schwanger – ist meine Erkenntnis im Inneren.
Vor kurzem sind mein Mann und ich in eine grössere Wohnung umgezogen, denn in der alten hatten sich unsere Habseligkeiten bis unter die Decke gestapelt. „Plant ihr Nachwuchs, oder was?“, war eine der Reaktionen.
„Nein, wir möchten eigentlich nur, dass unsere Gäste nicht mehr im Wohnzimmer auf dem Boden schlafen müssen“, entgegne ich nach aussen.
Aber was wäre, wenn das neue Gästezimmer nie zum Kinderzimmer würde – nagt es in meinem Inneren.
Auch den Klassiker aller Schwangerschaftsfloskeln musste ich vor kurzem über mich ergehen lassen, als ich bei meinem Deutschlandbesuch vor dem Supermarkt mit meiner Mutter einen „alten Freund der Familie“ traf.
„Meine Jessi hat ja schon zwei Jungs. Hast du denn auch schon Kinder? Nein? Oh, aber du bist doch auch ungefähr in Jessi‘s Alter. Da solltest du mal loslegen. Die biologische Uhr tickt ja, nicht wahr?“ entfährt es ihm selbstgefällig, garniert mit einem Lacher und Schulterklopfen.
„Tja, Horst, man sieht sich, ne?!“ gepaart mit einem gequälten Grinsen, ist die einzige allgemeintaugliche Reaktion, die ich daraufhin zustande bringe.
Wie gerne hätte ich ihm die Wahrheit, meine Wut und meine Enttäuschung entgegen geschleudert. Aber die Genugtuung, dass er daraufhin wieder ein Dorfthema zum Tratschen hat, gebe ich ihm nicht. Und irgendwie sind diese Art von Kommentaren ja auch gar keine Reaktion wert.
Und trotzdem. Trotzdem fühle ich mich nicht wohl in dieser Schublade der Kindererwartung. Fühle mich beobachtet – jedes Mal, wenn ich bei einer Feier ein Glas Alkohol ablehne. Beobachtet, wenn ich ein zu weites oder unvorteilhaft geschnittenes Oberteil trage.
Doch der schlimmste Beobachter und „Freund der Familie“ von allen verharrt definitiv in mir selbst. Es ist mein eigener Wunsch, der eigene Druck, mit der Familienplanung wieder eine trügerische Sicherheit und Planbarkeit in mein Leben zu integrieren. Denn ich bin laut meinen Ärzten in der glücklichen Lage, wieder eigenständige Kinderpläne machen zu können. Und dann ist es doch der nächste Schritt, oder nicht? Die Autobahn Richtung „Normalität“.
Dabei hat mich der Brustkrebs doch gelehrt, dass das Leben so schnell eine unvorhergesehene Wendung nehmen kann. Dass man das Leben nicht planen, sondern nur leben kann.
Und da stehen wir nun wieder. Ich und meine Angst. Wie kann ich ein Kind „planen“, ihm ein stabiles Umfeld bieten, wenn ich nicht sicher sein kann, ob der Krebs vielleicht doch wieder kommt.
Denn das ist es, was jede Frage nach einer Schwangerschaft in mir auslöst. Jede Konfrontation mit dem Thema „Baby“ führt mir vor Augen, dass ich diesen Schock wohl noch nicht verarbeitet habe. Jedes Mal, wenn ich auf das Thema angesprochen werde, sitze ich wieder im Behandlungszimmer meiner Frauenärztin. Erst jetzt machen sich Schmerz, Angst, Trauer und Verzweiflung von damals bemerkbar. Ausgelöst von der Erkenntnis, dass sich mein Leben erst einmal um Haarverlust und Chemotherapie anstatt um Babygeschrei und schlaflose Nächte drehen würde. Drei Jahre nach der Krebsdiagnose. Dabei fühlt es sich so an, wie gestern. Wie vor einer Stunde. Vor fünf Minuten.
Ich hatte das Kinderthema gut verpackt, fest verschnürt und sicher in der tiefsten Ecke meines Herzens verwahrt. Darf ich es wirklich wieder herausholen? Ich kann es kaum glauben, wage kaum zu hoffen.
Am Ende bleibt die Erkenntnis, dass es wohl in erster Linie mein eigener Druck ist, den ich bearbeiten sollte. Meine eigenen Vorstellungen eines von Normalität geprägten Lebens. Und die Frage, wie ich meine Krebserfahrung darin integrieren kann. Denn eines wird mir immer wieder bewusst: abhaken, wegwischen oder gar verdrängen kann ich sie nicht – so gerne ich es manchmal würde.
Daher wird die Antwort wahrscheinlich wieder einmal sein: Einfach mal LEBEN, daran GLAUBEN, dass ich erst einmal genug Katastrophen durchlaufen habe und die HOFFNUNG niemals aufgeben, dass der Brustkrebs nie wieder kommt.
Auf ein weiteres lebenswertes Lebensjahr 2015!
(Dieser Beitrag ist die Fortsetzung des Beitrags „Ihr Kinderlein kommet„.)
liebe red welly,
nein, die hoffnung nicht aufgaben. an alles glauben, was geht.
ob kind oder nicht…. sicherlich eine frage, die du für dich allein klären musst. ich hatte zwei sehr kleine kinder bei erstdiagnose. mein kleiner war noch nicht mal 4jahre und mein großer 5 1/2jahre. natürlich ist es toll, dass sie da sind. manchmal wäre es einfacher ohne sie.
es ist nie nur schwarz oder weiß.
und die menschen, die dich fragen ob du schwanger bist, die wollen, dass alles normal ist. keine erzählung von krebs. alles MUSS wieder gut sein nach einer gewissen zeit.
dir wünsche ich ein wunderbares 2015 und glaube mit dir daran, dass es für uns alle ein gutes jahr wird
alles liebe
babs
VIELEN DANK, für diesen lieben Kommentar.