Es ist wirklich kein leichtes Thema: die Kinderfrage bei Frauen in den 30ern. Mit oder ohne Krebsvorgeschichte. Die Frage nach dem Kinderwunsch bietet – im falschen Moment gestellt – immer wieder Zündstoff zwischen Partnern, Freunden und in Familien. Kommt dann noch der Krebs Anfang 30 dazu, ist das Chaos perfekt.
Das Gefühl vor drei Jahren ist mir heute noch genauso präsent, wie damals.
„Es ist wirklich Brustkrebs.“
Dieser Satz meiner Frauenärztin sorgte in einem einzigen kurzen Moment dafür, dass mir mit einem Knall all meine Familien- und Kinderpläne wie feinster Saharastaub durch meine Finger rieselten. Als ich dann noch mit dem bevorstehenden Therapiemarathon frontalbeschallt wurde, legte ich dieses Thema innerhalb von fünf Minuten zu den Akten. Meiner pragmatischen Einstellung sei Dank, war ich der festen Überzeugung, dass es nun erst einmal wirklich wichtigere Themen zu bearbeiten gäbe.
Doch damit nicht genug, denn einige Tage später lernte ich meine behandelnde Ärztin und alle Details und Feinheiten meines Tumors sowie die Mittel zur Bekämpfung kennen. Soweit, so gut. Doch noch in diesem Erstgespräch wurde ich erneut mit der Frage nach meiner Familienplanung konfrontiert. Ich könne mir überlegen, ob ich mir vor der Chemo noch schnell Eizellen entnehmen, einfrieren und aufbewahren lassen möchte, um zu einem späteren Zeitpunkt über eine künstliche Befruchtung nachzudenken. Das hätte allerdings den Nachteil, dass man vor dem Kampf gegen den bedrohlichen Todesboten noch das potentielle Leben stimulieren und den Therapiestart um rund zwei bis drei Wochen verzögern müsste.
Es gab bestimmt schon einige Situationen in meinem Leben, denen ich nicht gewachsen war. So z.B. meine mündliche Nachprüfung im Deutsch Leistungskurs, für die ich an einem Tag „Der Prozess“ von Franz Kafka lesen und verstehen musste. Auch von dieser Leistung hing das Bestehen meines Abiturs und der Verlauf meines weiteren Werdegangs ab.
Doch diese wegweisende Entscheidung, vor der ich an einem viel zu warmen Novembertag stand, brachte mich an den Rand der kompletten Überforderung. Auch wenn ich mich noch so bemühte, im Behandlungszimmer meiner mir zu diesem Zeitpunkt noch recht fremden Ärztin die Fassung zu bewahren, so konnte ich es einfach nicht mehr verhindern, komplett in Tränen auszubrechen.
Mein eigenes Leben gegen das eines potentiellen Kindes. Auch aus heutiger Sicht ist das ein Gedanke, der mir die Kehle zuschnürt. Doch was in diesem Moment viel schwerer wog, war der Eindruck, dass die Verschiebung des Therapiestarts um einige Wochen einer mittelschweren Katastrophe gleich kommen würde. Stand es denn wirklich so schlimm? Ich fühlte mich in diesem Augenblick doch eigentlich gesünder denn je.
Ich hatte die Kontrolle über mein Leben verloren. Soviel stand schon einmal fest. Und so entschied ich mich nach einer kurzen Wochenend-Bedenkzeit, dass ich erst einmal mit einhundert Prozent meiner Energie meinen eigenen Hintern retten wollte. In dieser Situation die Erfüllung eines Kinderwunsches durch künstliche Befruchtung vermeintlich kontrollieren zu wollen und können, schien mir als ein Ding der Unmöglichkeit.
Zu diesem Zeitpunkt war es nicht mehr wirklich schwer, den trügerischen Glauben an Kontrolle abzugeben. Einzutauschen gegen das tiefe Gefühl des Vertrauens, dass das Leben schon weiss, was es mit mir vorhat. Vertrauen in die Behandlung meiner Ärzte, die sicherlich wissen, was sie tun. Vertrauen in die Stärke meines Körpers, der mich hoffentlich mit Mitte dreissig aus eigener Kraft wieder aus der künstlich hervorgerufenen Menopause holt. Den Kontrollwunsch gegen das Vertrauen einzutauschen war rückblickend betrachtet ein grosser Befreiungsschlag für meine Psyche und ich bin auch heute noch fest davon überzeugt, dass Glaube und Vertrauen sehr starke Verbündete im Kampf gegen den Krebs sind.
Auch wenn es für manchen Leser befremdlich klingen mag, so hatte die auf Eis gelegte Kinderplanung auch etwas Erleichterndes. Denn ich kann nicht leugnen, dass sich auch bei mir mit jedem Lebensjahr der Erwartungsdruck stetig erhöhte. Im Freundeskreis wurden die Babys immer zahlreicher. Eigentlich kann ich behaupten, dass sich die Babywelle Nr. 1 in meiner Brustkrebszeit auf dem absoluten Zenit befand. Und da sich das Leben mit Kindern nach Aussagen aller mir bekannten Eltern von Grund auf ändert, fühlte auch ich mich zunehmend genötigt, bald mit der Welle mit zu schwimmen, um nicht unterzugehen. „Entkumpelt“ zu werden, wie es eine meiner engsten Freundinnen stets ausdrückt.
Der Brustkrebs hatte mir kurz mal diese Entscheidung abgenommen und ich war nicht wirklich unglücklich darüber. Denn eine Erkenntnis, die mir meine Erkrankung gebracht hat, ist die, dass ich bei diesem Thema viel zu wenig auf meine eigene Stimme gehört habe, die mir zuflüsterte, dass es einfach noch nicht die Zeit für Nachwuchs war. Mit einem Mal war er weg: der Druck von innen. Und auch der von aussen. Nach meiner Kinderplanung sollte mich erst einmal niemand mehr fragen.
Und heute?
To be continued…