Von Angesicht zu Angesicht

Er war mal wieder fällig: Der jährliche Kontrolltermin zur Mammografie. Schon eine Woche vorher war meine Laune im Keller. Meine Nerven zum Zerreissen gespannt. Eigentlich hatte ich gar nichts Beunruhigendes erwartet. Mein Bauchgefühl sagte mir, dass ich an diesem Tag einfach nur eine weitere Bestätigung für meine Gesundheit erhalten würde. Und doch wollte diese Nervosität nicht weichen. Der permanent erhöhte Herzschlag. Die niedrige Schwelle zur totalen Reizbarkeit.

Als ich dann einige Tage später wieder einmal „oben ohne“ vor dem kalten Mammografie-Gerät des Brust-Zentrums stand und etwas länger auf die Praxisassistentin warten musste, kam es mir vor, wie ein halbes Leben. Stille. Nur das leise Surren des medizinischen Apparates, das mir in wenigen Augenblicken wieder meine wertvollsten Weichteile in Form quetschen würden, war zu hören. Keine Ablenkung stand mir zur Verfügung. Nur der Raum, die Erinnerungen an die Diagnose, meine schreienden Gedanken, meine Ängste und ich. Ich kehrte zurück ins Hier und Jetzt, als die Praxisassistentin den Raum betrat…

Als mich wenige Augenblicke später meine Ärztin im Wartezimmer zur Besprechung aufrief, war ich durch ihren Gesichtsausdruck gleich beruhigt. Es war doch alles in Ordnung. Wir sprachen viel in der nachfolgenden Ultraschalluntersuchung. Über die Angst vor jeder Kontrolle, die wohl ein Leben lang andauern würde. Über die Rolle der Ärzte und Pfleger. Über das Warten auf das Ergebnis. Über das Analysieren jedes Zuckens im Mundwinkel, jeder Stirnfalte im Gesicht des behandelnden Arztes.

Ein Gedankengang meiner Ärztin, mehr Spass als wirklicher Ernst, brachte mich trotzdem zum Nachdenken.

„Was wäre, wenn so ein Brustultraschall vollautomatisch mithilfe eines Roboters durchgeführt würde?“

„Frei von Emotionen.“

„Keine Möglichkeit, Gesichtszüge zu interpretieren, während er mit dem Ultraschallkopf über die Brust fährt.“

„Könnte man nicht auf diese Weise unnötige Angst und Schockmomente für die Patientinnen vermeiden?“

Zugegeben – der Gedanke, dass ein iRobot systematisch über meine besten Stücke fährt und Aufnahmen für die spätere Befundung macht, ist eigentlich fast noch beängstigender als der Gedanke an ein negatives Resultat. Aber trotzdem kam ich nicht umhin mich zu fragen, ob es ein möglicher Weg sein könnte gegen die Angst. Warum ist sie eigentlich immer wieder da? Selbst nach Jahren und Jahrzehnten. Warum lässt sie uns die Nächte vor der Nachkontrolle nicht mehr schlafen, selbst wenn der Krebs schon lange nicht mehr im Körper wohnt. Selbst wenn alle Blutwerte und Mamma-Sonographien die wiedererlangte Gesundheit regelmässig quittieren?

Es ist wohl die Erinnerung an die einmal gemachte Grenzerfahrung, die bei jeder Kontrolle wie ein Film vorm geistigen Auge abgespielt wird. Die Gewissheit, dass es mich bereits einmal übel erwischt hat und die pure Angst, dass es wieder passieren könnte. Jeder kritische Blick meiner Ärztin wird von meinem Unterbewusstsein schon im gleichen Moment peinlich genau analysiert. Doch kann ein automatisiertes System wirklich eine Möglichkeit sein, um keine bösen Gedanken aufkommen zu lassen?

Ich glaube nicht. Denn schlussendlich sind es doch meine eigenen Gedanken, die meine Angst hervorrufen. Vor, nach und während einer Kontrolle. Und die schreien meist noch lauter, wenn ich alleine bin und keine Menschenseele mich auf andere Gedanken bringt. Die Nervosität, das ungute Gefühl in der Magengegend, die Angespanntheit, der laute Herzschlag und die Schnappatmung schwingen immer mit. Bei jeder Kontrolle. Ein Leben lang. Das kann mir kein Arzt, keine Pflegeschwester, kein Ehemann und kein Roboter nehmen.

„Die Unbeschwertheit, die Sie vor der Diagnose hatten, werden Sie wahrscheinlich nie wieder haben.“

Das habe ich nun schon öfter gehört. So ist es wohl. Doch wenn ich mich schon in regelmässigen Abständen immer wieder diesem Schockmoment aussetzen muss, dann doch bitte in Begleitung von zwischenmenschlichen Emotionen. Wie auch immer sie aussehen mögen.

2 Gedanken zu “Von Angesicht zu Angesicht

  1. babs schreibt:

    weißt du die erstdiagnose ist ein schock. ein trauma. man wird erschüttert in all seinen grundfesten. du wüsstes, was auf dich zukommen würde. du wüsstes, wie schwer solch eine zeit zu meistern ist.
    ABER selbst bei der „nächsten“ diagnose geht es weiter. es wird anders, aber es geht weiter.
    gerade die menschliche begleitung bei diesen untersuchungen gibt halt. ein roboter wäre erschreckend. definitiv.
    unbeschwert, so wie vor der diagnose wird es nicht mehr. aber trotzdem schön.
    super, dass deine nachsorge ohne befund war. so soll das bleiben….am besten für immer.
    alles liebe babs

    • Red & Welly schreibt:

      Vielen Dank für die lieben Worte. Und auch wenn du sicherlich Recht damit hast, dass es auch nach einer zweiten Diagnose immer weitergeht, so hoffe ich, dass ich dieses Trauma nie, nie, nie wieder erleben muss. Aber, wer weiss, was das Leben noch so mit sich bringt :-)

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