Die Kraft der Gedanken

„Achte auf deine Gedanken, denn sie werden Worte.
Achte auf deine Worte, denn sie werden Handlungen.
Achte auf deine Handlungen, denn sie werden Gewohnheiten.
Achte auf deine Gewohnheiten, denn sie werden dein Charakter.
Achte auf deinen Charakter, denn er wird dein Schicksal.“
(Buddhistische Weisheit)

Über diesen Beitrag musste ich mir etwas länger Gedanken machen. Gedanken über meine eigenen Gedanken. Und über das, was sie in meinem Leben auslösen.

Wenn man, so wie ich, auch nach dutzenden Tests und genetischen Abklärungen keinen offensichtlichen medizinischen Grund oder eine Erklärung für seine Krebserkrankung erhalten hat, macht man sich automatisch selber auf die Suche nach möglichen kausalen Zusammenhängen. Nicht unbedingt offensichtlich, denn ich bin mir vollkommen bewusst, dass ich nie eine Antwort auf meine „Warum-Frage“ erhalten werde. Aber trotzdem kreisen meine Gedanken das eine oder andere Mal doch immer wieder genau um diese Frage. Glück oder eben Pech – nein – dieser Grund genügt mir einfach nicht, um den überstandenen Brustkrebs abzuhaken. Es ist zu wenig, um die Angst vor einem Rückfall im Zaum zu halten. Zu wenig, um sicher sein zu können, dass ich meine Gesundheit wieder ein Stück weit in der Hand habe. Irgendetwas muss es doch geben, was ich vorher falsch gemacht habe und hinterher besser machen kann. Oder nicht?

Als ich auf das Zitat der Gedanken gestossen bin, habe ich mich gefragt, ob sie ein Stück zu meinem Schicksal beigetragen haben könnten. Denn schon vor meiner Krebsdiagnose hatte ich zunehmend angstvolle Gedanken, dass mich die Krankheit treffen würde.

Die erste Begegnung mit „K“ liegt schon weit zurück in meiner Kindheit. Im Alter von sechs hat er mir eine meiner besten Freundinnen genommen. Sie war acht. Ein Mädchen aus der Nachbarschaft mit rosa Kappe. Wenn sie diese abnahm, war da diese Hufeisennarbe auf ihrem Kopf, die sie uns stolz präsentierte und die wir Kinder mit grosser Bewunderung bestaunten. Ich kann mich nicht erinnern, sie jemals mit Haaren gesehen zu haben. Aber das war auch egal. Sie war die Freundin mit der rosa Kappe, mit der ich auf den umliegenden Bauernhöfen gespielt und Brausebonbons gegessen habe. Der Krebs war kein Thema, aber er war immer da. Und auf einmal war sie weg. Meine Freundin mit der rosa Kappe. Einfach so. Ohne Abschied. Der Leichenwagen vor der Haustür ist das letzte, was ich von ihr gesehen habe.

Auch danach sind Menschen in meinem Umfeld an Krebs gestorben. Bekannte und Verwandte in höherem Alter, bei denen das Lebensende vielleicht weniger überraschend war. Doch immer kam der Krebs plötzlich und war sehr schnell endlich. Dann, mit 18, hat es wieder einen Freund von mir erwischt. Kerngesund. Kein Raucher, Sportler. Er trank noch nicht einmal Alkohol. Auch nicht, als ich ihn kurz vor seiner Diagnose als Tanzpartnerin auf seinen Abiball begleitete. Er hatte den ersten Kampf gegen den Krebs gewonnen und war Sieger für zwei Jahre. Bis „K“ zurückkam mit einer Lungenentzündung im Gepäck. Und auf einmal stand ich auf der Beerdigung meines Freundes.

Die Einschläge von neuen Krebsdiagnosen kamen regelmässig. Und immer wieder trafen sie Bekannte und gute Freunde. Ich konnte die Gedanken nicht mehr von mir fernhalten, dass es auch mich eines Tages treffen würde. Jede Krankheit, jede Abgeschlagenheit, jedes körperliche Symptom hat bei mir zunehmend Angst ausgelöst, dass es Krebs sein könnte. Die Recherchen im Internet haben diese Angst nur noch weiter angeheizt. Und dann – mit Anfang 30 – traf er mich. Der Brustkrebs. Und ich habe mich unweigerlich gefragt: War das Zufall? Schicksal? Pech? Oder haben meine Gedanken doch in irgendeiner Weise zu meiner Erkrankung beigetragen?

Meine Ärzte würden mir sicherlich energisch widersprechen, wenn sie mit dieser Theorie konfrontiert wären, und auch mir ist bewusst, dass ein direkter Zusammenhang zwischen meinen Gedanken und dem Brustkrebs sehr weit hergeholt ist. Und doch denke ich, dass man die Kraft der Gedanken nicht unterschätzen sollte. Denn auch wenn es sich beim oben beschriebenen Zitat lediglich um eine buddhistische Weisheit handelt, so ist der kausale Anspruch dieser Worte doch nicht von der Hand zu weisen. Achte auf deine Gedanken, denn sie werden zu deine Handlungen, zu deinem Schicksal. Irgendwann konnte ich sie nicht mehr abwehren, die Gedanken, dass der Krebs mein Leben irgendwann auf dramatische Weise befallen wird. War es Zufall oder haben meine Gedanken wirklich irgendetwas ausgelöst in meinem Körper? In meinem Verhalten? In meinen Zellen?

In meinem Achtsamkeitskurs im Brust-Zentrum habe ich gelernt, dass Gedanken – „wie Forscher aus dem Gebiet der Neurologie herausfanden – elektrische Impulse sind, die elektrische und chemische Umschaltungen im Gehirn auslösen. D.h. Gedanken sind Kräfte,“* auf die der Körper in irgendeiner Form reagiert (Dr. Doris Wolf, Diplom Psychologin). Ich bin mir sicher, dass auch die Neurologieforschung mir keinen direkten Zusammenhang zwischen physiologischen Prozessen meiner Krebsgedanken und meiner reellen Erkrankung bestätigen kann. Aber könnten sie nicht doch irgendeine körperliche Auswirkungen auf meine Zellen gehabt haben?

Gedanken. Sie sind schon komisch. Ich habe Millionen von ihnen und mache mir definitiv zu viele davon. Sie bieten mir die Möglichkeit zu interpretieren, zu hinterfragen. Viele von ihnen lösen in mir ein positives und warmes Gefühl im Körper aus und machen mich glücklich. Doch klar ist auch, dass sie der Haupt-Übeltäter sind, wenn die Angst vor einem Rückfall mich wieder heimsucht. Denn diese entsteht einzig und allein aus meinen Gedanken und (zum Glück) nicht aus meiner momentanen Realität. Sie bedient sich aus Erinnerungen, teilweise traumatischen Erfahrungen, aus der Vergangenheit eben. Doch wenn ich mir die Gegenwart anschaue, so ist sie doch zumindest für den Moment krebsfrei. Und egal welche Gedanken ich mir über die Zukunft mache, so kommt es doch meistens ohnehin anders als man denkt.

Auch wenn wir nie wissen werden, welchen Einfluss unsere Gedanken auf unser Leben wirklich haben, so bin ich überzeugt, dass an dem Zitat der Gedanken schon etwas dran ist. Zugegeben – es fällt mir nicht immer leicht, die gemachten Erfahrungen meiner Krebskrankheit abzuschütteln, aber wenn sie wirkliche ihren Anteil an meinem Krankheitsverlauf gehabt haben sollten, so lohnt es sich für Zukunft doch erst recht daran zu glauben, dass dieses Kapitel ein für alle Mal abgeschlossen ist.

Ich sollte darüber nachdenken…

4 Gedanken zu “Die Kraft der Gedanken

  1. babs schreibt:

    liebe red wellie,
    ich weis es nicht. nicht wirklich.
    über deinen artikel habe ich nachgedacht. nachgedacht über das was gedanken können. können sollen? wirklich können?
    nehmen wir mal an, positive gedanken können nur gutes. soviel gutes, dass wäre wundervoll. es gäbe keine krankheiten, keinen streit, keinen hass…..es wäre einfach nur wundervoll. in vielen lebensbereichen der menschen. an bestimmten orten. zu bestimmten zeiten.
    negative gedanken könnten sich genauso umsetzen lassen. alles wäre voller, hass, streit, zerstörung. bei manchen menschen. in manchen teilen der erde. es wäre schrecklich.
    nun ist es aber so, dass an allen orten der erde positive wie negative gedanken wohnen. in allen bereichen gibt es auch positives und negatives. selbst an diesen orten, wo vermeindlich nur gute gedanken wohnen.
    während meiner erkrankungszeit hatte/habe ich sooooooo viele liebe menschen an meiner seite, die für mich und meine gesundheit die allerpositivsten gedanken gedacht haben. selbst versuche ich immer positiv zu bleiben. trotzdem lässt der krebs nicht sein „spiel“.
    keinen krebs zu haben ist großes, großes glück. krebs zu haben oder gehabt zu haben mist. sehr großer mist.

    all diese gedanken um und über krebs, das leben und alles, sind, so denke ich, normal. der mensch ist so gestrickt, dass er erklärungen will. eine antwort. einen/eine schuldige/n. etwas einsortieren.

    für viele dinge gibt es keine erklärungen in diesem leben. vielleicht, vielleicht auch nicht. kann so sein, oder völlig anders.
    sich einzulassen auf das was kommt ist die große kunst des lebens. loszulassen. genießen. mit allen sinnen. alles andere wird kommen wie es kommt. mit einer positiven einstellung wirst du es sicherlich anders empfinden, als wenn du ständig voller angst bist.

    ich wünsche dir, dass du ein wunderbares leben lebst. das es dir gut geht und es auch so bleiben möge………

    alles liebe
    babs

    • Red & Welly schreibt:

      Liebe Babs
      Vielen Dank für deine vielen Gedanken zu meinen Gedanken. Und ich gebe dir vollkommen recht, dass am Ende das Leben nur das Leben ist, auf das man sich einlassen muss. So wie es kommt. Und doch gehören unsere Gedanken, unsere Zweifel und unsere Fragen ja auch zu unserem Leben. Wie langweilig wäre mein Leben ohne meine Gedanken ;-) Ein spannendes Thema, wie ich finde.
      Liebe Grüsse, Red & Welly

  2. samate schreibt:

    Hallo Red Wellie, bin eben erst von Berlin zurück und jetzt will ich Dir endlich schreiben. Die ganze Zeit dachte ich nämlich über Deinen Beitrag nach und habe mit meinem Freund, leitender Psychologe einer Klinik, ausgiebig darüber gesprochen. Seine Gedanken sind da, wie soll ich sagen, oft sehr hilfreich, weil reichlich fundiert. Mir ging es nämlich so wie Dir, Krebs wurde immer mehr Thema in meinem Leben und dann hatte ich ihn. Aber ich denke, es war genau umgekehrt. Ich hoffe, ich kann das jetzt erklären ;-) also ich meine, es wurde vielleicht deswegen immer mehr Thema, weil da in mir schon was am wachsen war. So, als wolle mir mein Körper was „mitteilen“. Ich meine das jetzt nicht esotherisch ;-) sondern ich denke schon, dass, so wie man auch eine Erkältung kommen spürt, es vielleicht manchmal auch bei anderen Erkrankungen so sein kann. KANN, nicht muss. Und jeder Mensch ist anders. Ich habe das so oft gehört von Leuten, so Sätze wie „ich hab da schon gemerkt, dass da was nicht stimmt“, jetzt nicht nur Krebs.

    Ich habe damals wirklich gedacht, warum um alles in der Welt bin ich so oft auf Krebsblogs unterwegs, was will ich eigentlich da…

    Das war ziemlich genau ein Jahr. Dann hatte ich die Diagnose. Ich meine damit nicht, dass es so sein MUSS, aber ich denke, vielleicht spüren einige Menschen tatsächlich, dass sich was verändert.

    Die Medizin (und die Psychologie) geht immer mehr dazu über, den Menschen als ein „gesamtes System“ zu sehen, und vielleicht passt das da rein. Wir wissen heute noch recht wenig über die sogenannte „Signalübertragung“. Mein Freund arbeitet mit psychisch Kranken und da ist es z.B. so, dass bei Schizophrenie, wenn die Kranken Stimmen hören, im Gehirn die gleichen Aktivitäten stattfinden wie bei Menschen, die tatsächlich mit jemandem reden.

    Und vielleicht kann man in hundert Jahren einen Zusammenhang zwischen Gedanken und Aktivitäten im Körper feststellen. Wer weiß es.

    Mir ging es jedenfalls wir Dir. Nur dass ich vom anderen Ende her denke ;-)

    Wollte ich Dir unbedingt erzählen ;-)

    Liebste Sonntagsgrüße!
    Samate

    • Red & Welly schreibt:

      Liebe Samate
      Es freut mich wahnsinnig zu sehen, dass du dir so viele Gedanken zu meinen Gedanken gemacht hast. Und auch deinen Gedankengang kann ich durchaus nachvollziehen. Vielleicht ich auch da ein Fünkchen Wahrheit dran. Wenn ich mich so zurück erinnere, dann habe ich schon viele Monate vor meiner Diagnose körperlich gemerkt, dass in meiner Brust etwas sticht. Die Zeichen waren da, aber mein hektischer Alltag hat mich gar nicht zugelassen, dass ich dabei wirklich an Brustkrebs denke. Das erwartet man ja auch einfach nicht. Es trifft ja immer nur „die anderen“, war bis dahin die trügerische Sicherheit, hinter der ich meine Angst versteckt habe. Und vielleicht hat mein Unterbewusstsein mir daher immer wieder etwas mitteilen wollen. Ich bin auf jeden Fall sehr froh, dass ich dann doch recht schnell die Zeichen meines Körper ernst genommen habe. Auch wenn die Abklärungen wirklich nicht lässig waren – aber besser zu früh, als zu spät.

      Am Ende ist es doch einfach wichtig, dass wir mit unseren ganz eigenen Begründungen und Erklärungen weiterLEBEN können und sie uns helfen, das Leben, das uns bleibt, in vollen Zügen zu geniessen.

      Geniess den hoffentlich schönen Sonntagabend. Liebe Grüsse
      Red&Welly

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