Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser

„Ich habe nicht erwartet, dass ich Sie so schnell wiedersehe“, hatte mir meine Frauenärztin gesagt.

„Ich auch nicht“, hatte ich mit Herzklopfen erwidert.

Da sass ich nun. Ungefähr vier Monate nach meiner letzten Kontrolle, bei der glücklicherweise noch alles in Ordnung war.

Wieder ist es der gleiche Behandlungsraum, in dem ich in der Vergangenheit schon mit so vielen Emotionen kämpfen musste. Und auch heute stecken mir die Tränen im Hals. Wieder fährt das gleiche Ultraschallgerät über meinen Körper mit der Absicht, meinen ersten Verdacht eindeutig zu bestätigen. Und auch heute kann ich die Nervosität vor dem Ergebnis nicht verbergen. Wieder versuche ich, den Gesichtsausdruck meiner Ärztin zu deuten. Doch auch heute gelingt es mir nicht. Wieder zeichnet sich auf dem Monitor neben mir ein schwarzes Loch zwischen dem Gewebe ab. Doch heute ist etwas anders.

Das, was sich dort zeigt im abgedunkelten Raum, ist scharf begrenzt. Das, was sich dort zeigt auf dem Ultraschallbild, lässt ein Lächeln auf dem Gesicht meiner Frauenärztin entstehen. Das, was sich dort zeigt – rund drei Jahre nach meiner Brustkrebsdiagnose – bringt wieder die Welt um mich herum für einen kurzen Moment zum Stillstand. Doch dieses Mal ist es nicht die Angst vor dem Ende. Es ist die Freude, ja Fassungslosigkeit über das neue Leben, das sich vor meinen Augen zeigt.

„Sehen Sie, da haben wir die positive Herzaktivität“, dringt es zu mir durch. „Das ist das, was wir sehen wollen.“

Ein neues Leben, das in mir entsteht. Was mir in diesem Moment durch Körper, Geist und Seele geht: ich kann es nicht im Ansatz in Worte fassen…

Vor drei Jahren hatte mir der Krebs mit ziemlicher Wucht eine Entscheidung aufgezwungen: mein Leben durch eine schnelle Chemotherapie an die erste Stelle zu stellen, oder einen Kinderwunsch durch die vorzeitige Eizellen-Entnahme bestmöglich zu sichern. Es kam mir vor, wie eine Entscheidung zwischen Leben und Tod. Du oder ich. Hopp oder Topp. Und auch wenn ich durch die Gespräche mit meinen Ärzten sehr gut über Möglichkeiten und Grenzen der Nachwuchsfrage informiert wurde, so war es mir nicht möglich, diese so weichenstellende Entscheidung mit einem klaren Kopf zu treffen.

Hätte ich zwei Wochen vorher einer Freundin diese Entscheidung abnehmen müssen, so hätte mein Verstand ihr sicherlich dazu geraten, sich die Möglichkeit einer späteren künstlichen Befruchtung nicht entgehen zu lassen. Doch nun ging es darum, meinen Allerwertesten vor dem Brustkrebs zu retten. Die Kinderfrage musste zwangsweise warten. Sie wurde aufgeschoben. Vielleicht auch aufgehoben. Wer konnte das schon wissen. Und so war der unerfüllte Kinderwunsch in meiner Brustkrebs-Zeit für mich letztendlich eine Frage von Kontrolle gegen Vertrauen.

In dieser Zeit entschied ich mich wohl das erste Mal bewusst dafür, meinem Leben und auch meinem Körper zu vertrauen. Zu vertrauen, dass er stark genug sein würde, nach der überstandenen Chemotherapie die Reproduktionsfabrik wieder anzuschmeissen. Und das zu einem Zeitpunkt, zu dem er jedes Vertrauen in seine Standhaftigkeit verspielt hatte. Ich frag mich heute noch, wie ich damals diese Entscheidung treffen konnte. Vielleicht lag es daran, dass das Leben hatte mir schonungslos zeigte, dass ich die Kontrolle ohnehin verloren hatte. Mein Leben wahrscheinlich noch nie unter Kontrolle war. Und auch eine künstliche Befruchtung zu einem späteren Zeitpunkt hätte mir keinen Kinderwunsch mit absoluter Sicherheit garantieren können.

In der Zeit, in der das Chaos in meinem Leben am grössten war, war komischerweise das Gefühl des Vertrauens mein stärkster Anker. Seit der Krebsdiagnose hatte ich immer das Gefühl, dass das Leben schon wissen wird, ob es mir den Kinderwunsch erfüllt. Vertrauen: für mich war es in meiner Kinderfrage der richtige Weg und ich bin unendlich dankbar, dass ich nicht enttäuscht wurde. Mein Kopf hatte eigentlich nicht mehr damit gerechnet, dass das Leben mir diesen Wunsch erfüllen werden würde.

Vertrauen ist aber auch der Faktor, den ich mir bei meinen Nachkontrollen über die Jahre wieder hart erkämpfen musste. Denn es ist mein stärkster Verbündeter im Kampf gegen die Angst. Vertrauen ist aber auch in meiner Schwangerschaft das begleitende Gefühl, wenn es um die Frage geht, ob das Kind sich normal entwickelt. Bei all den möglichen Tests und Ratschlägen, die in dieser Zeit auf mich einprasseln, kann ich nur darauf vertrauen, dass alles gut läuft, ohne dass ich mich in der Zeit in eine Seifenblase packe.

Aus heutiger kann ich sagen, dass mir der gefühlte Kontrollverlust, den ich durch die Krebsdiagnose erfahren habe, wieder den Zugang zu meinen Gefühlen in Bauch und Herz geöffnet hat. All diese Emotionen, die sich lange hinter meinem Verstand und meinen Kopfentscheidungen anstellen mussten, sind heute in erster Linie meine Berater. Und wenn ich eine positive Seite meiner Krebserfahrung beschreiben müsste, dann ist es die Erfahrung, dass es mir nie gelingen wird, mein Leben unter Kontrolle zu haben. Was für eine Befreiung.

Schlussendlich hat mir die Schwangerschaft auch wieder eindeutig gezeigt, dass ich keine Kontrolle mehr über Essensgelüste, Hormonschwankungen, Gewichtszunahme oder meinen Bauchumfang habe. Aber ich muss sagen: diese Kontrolle gebe ich gerne ab :-)

4 Gedanken zu “Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser

  1. The Far Side of Pink schreibt:

    Schön! Einfach wunderschön Deine Neuigkeiten! Ich wünsche Dir von Herzen alles Gute auf dieser Reise. Das ist LEBEN.
    Bin bisher nur stille Mitleserin gewesen, erkenne mich aber in vielen Deiner Worte wieder und muss Dir nach dem Lesen dieses Posts ganz einfach gratulieren!
    LG
    Katrin

    • Red & Welly schreibt:

      Liebe Katrin
      Vielen Dank, ich bin wirklich gerührt von deinen Worten!!! Und du hast wirklich recht. Das alles ist LEBEN!!!
      Wie schön, dass du meinem Leben auf diese Weise folgst.
      Herzlichst, Susanne

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