Eigentlich wollte ich diesen Beitrag schon vor langer Zeit schreiben. Der Aufhänger dazu war ein Schild mit der Aufschrift „RespekTIERE deine Grenzen“, das ich beim Joggen im Wald entdeckt hatte. Eigentlich soll dieses Schild die Besucher des Naturschutzgebietes dazu auffordern, die heimischen Tiere in ihrem Reservat nicht zu stören. Doch irgendwie empfand ich die Worte „RespeTIERE deine Grenzen“ als Aufforderung, einmal über meine eigenen Grenzen nachzudenken.
Eigentlich wollte ich darüber schreiben, wie der Krebs mir so drastisch vor Augen geführt hat, dass ich meine körperlichen Grenzen irgendwie überschritten hatte. Eigentlich sollte es in diesem Beitrag darum gehen, dass ich mich seit meiner Krebserkrankung stets innerhalb meiner eigenen Grenzen bewege; aus Angst vor einem Rückfall, sollte ich sie wieder überschreiten. Eigentlich wollte ich darüber berichten, wie stark die Menschen in meinem Umfeld tagtäglich über ihre eigenen Grenzen gehen. Körperlich, geistig und seelisch. Eigentlich sollte es darum gehen, dass es wohl immer mehr zum normalen Alltag gehört, seine eigenen Grenzen nicht mehr wahrzunehmen. Eigentlich wollte ich mich aber auch kritisch hinterfragen, wie langweilig ein Leben werden kann, wenn man seine Grenzen nicht manchmal bewusst herausfordert. Wie gesagt – eigentlich.
Doch dann ist habe ich eines Sonntagmorgens dieses Foto in der NZZ am Sonntag gesehen.

Quelle: NZZ am Sonntag (14. Februar 2016)
Es ist eines der vielen Bilder, die man zurzeit häufig in den Medien zu sehen bekommt. Es ist eines dieser vielen Bilder zur Flüchtlingskrise, die mich schokieren. Es ist eines unter vielen, doch der Blick dieses Mädchens hat mich besonders ins Herz getroffen. Der dazugehörige Beitrag dreht sich um die verlorene Kindheit der Flüchtlingskinder und wirft die Frage auf, wie sich die belastenden und teilweise gewaltvollen Grenzerfahrungen auf die Psyche und Zukunft dieser Kinder auswirken wird. Und in Zeiten, in denen ich versuche, meinem eigenen Kind – so gut es geht – eine heile Welt zu präsentieren, frage ich mich, welchen Einfluss der neue Umgang mit Grenzen in Europa auf unsere Welt von morgen hat.
Ich selbst kann durchaus behaupten, ein Kind Europas zu sein. In den 80er Jahren geboren, bin ich anfangs noch in einem geteilten Deutschland und vielen Grenzen innerhalb und ausserhalb der Köpfe aufgewachsen. Meine Eltern, die unter anderem auch sehr stark durch ihre eigenen Erfahrungen mit Krieg, Bomben, Widerstand, Flucht und dem Mauerbau geprägt waren, haben mir in meiner Erziehung oft Grenzen gesetzt. Es ist wohl unnötig zu erwähnen, dass ich einen um 22:00 Uhr abgebrochenen Diskobesuch als Jugendliche nicht wirklich lässig fand, während all mein Freunde natürlich viel länger bleiben durften J. Doch bin ich aus heutiger Sicht sehr dankbar, dass ich den Umgang mit Grenzen gelernt habe.
Gleichzeitig durfte ich auch Ende der 80er Jahre die Entspannung der Welt und den Abbau von Landesgrenzen erleben. Ein Gefühl von Erschöpfung und des „Aufeinanderzugehens“ lag in der Luft. Der Osten Deutschlands war wieder zugänglich. Verwandte konnten wieder besucht werden. Bekannte nutzten die Gelegenheit, mit dem Trabi aus dem Osten anzureisen, um mit mir in den nächsten Freizeitpark zu fahren. Meine ganze Jugend war geprägt von dieser Entwicklung der Annäherung. Der Freudschaft. Der Freundlichkeit. Des grenzenlosen Reisens. Der Einführung einer gemeinsamen Währung. Des Austausches mit anderen Kulturen. Ich bin zutiefst dankbar für diese Entwicklung, denn ohne sie hätte ich meinen Mann nie getroffen.
Im Studium habe ich dann bei einem Erasmus-Auslandssemester die italienische Sprache und Kultur näher kennenlernt. Ich stand vor der Herausforderung, mich zu öffnen. Für eine andere Ausdrucksweise, eine chaotische Organisation des Universitätssystems, einen Verkehr ohne Regeln, eine unverständliche Streik-Kultur der italienischen Bundesbahn, aber auch für eine andere und sehr herzliche Gastfreundschaft und ein offenes aufeinander Zugehen. Von keiner Zeit habe ich in meinem Leben mehr profitiert.
Gleichzeitig entwickelte sich bei mir um die Jahrtausendwende ein Selbstverständnis der grenzenlosen Möglichkeiten. Beruflich und privat. Während des Studiums führten mein Mann und ich eine fünfjährige Fernbeziehung über die „deutsch-britische Landesgrenze“ hinweg. Billigflieger ermöglichten auch trotz knappen Budgets, dass wir diese Grenze regelmässig überfliegen konnten. Mein doch recht guter Studienabschluss führte zu einem nahtlosen – zwar gnadenlos unterbezahltem – aber doch recht erfolgreichem Einstieg in das Berufsleben. Mit Fleiss, Disziplin und etwas Durchhaltevermögen würden sich schon alle Grenzen für mich öffnen. So dachte ich.
Doch die Grenzenlosigkeit im Denken forderte mir schnell zu viel ab. Beruflich und privat. Dort, wo ich mir, meinem Körper und meiner Seele keine Grenzen mehr setzte, machten sich schnell Erschöpfungssymptome, Schlaflosigkeit und ein Gefühl des „ständig hinterher rennens“ breit. Das Resultat in meinem Fall: Brustkrebs mit Anfang 30.
Was meine eigenen Grenzerfahrungen mit der aktuellen Flüchtlingssituation in Europa zu tun haben?
To be continued soon….