Buchrezension: Rauhnächte

von Arno Luik (Eine Buchrezension)

„Heute auf dem Weg ins Krankenhaus spricht mich ein Obdachloser an:

„Hast ’ne Zigarette?“ – Nee.
„Haste Tabak?“ – Nee.
„Haste ’n Joint?“ – Nee.
„Solltest du aber haben.“ – Ich hab Krebs.

„Würd ich auch mal gern essen!“

Mit diesem, aus dem eigenen Leben gegriffenen Dialog, gibt Arno Luik im Klappentext seines Buches „Rauhnächte“ einen ersten Einblick in sein wahrscheinlich persönlichstes Werk. Ein Buch, das nach der Krebsdiagnose auf der Grundlage seiner Tagebuchaufzeichnungen entstand.

Als ich die Anfrage vom Westend Verlag in meinem Blog-Postfach für diese Buchrezension sah, staunte ich nicht schlecht. Denn Arno Luik ist ein renommierter Journalist und Bestseller-Autor. Der frühere Chefredakteur der „taz“ und „stern“-Autor ist bekannt für seine Recherchen zum Bahnhofsprojekt „Stuttgart 21“. Doch es waren eben nicht diese schillernden Lebensmomente und Verdienste, die sein neues Buch und meinen Blog zusammengeführt hatten, sondern die Diagnose Krebs. Ein Schicksal, das mich immer wieder betroffen macht, egal, welcher Name auf dem Cover eines Buches steht. Dennoch betrifft diese Erkrankung eben viele von uns, und so war ich sehr gespannt, wie Arno Luik diesen Schicksalsschlag in seinem Buch verarbeitet hatte.

Schon beim Lesen der ersten Seiten wurde mir einige Tage später klar: Dieses Buch bewegt!

Auf einmal in einer anderen Welt aufgewacht

Die Aufzeichnungen von Arno Luik beginnen mit dem Moment, den wohl jeder von Krebs betroffene Mensch kennt: der Moment der Darmkrebsdiagnose. Man spürt auf den ersten Seiten stark, wie diese Erkrankung noch nicht so richtig ihren Platz in seinem Bewusstsein gefunden hat. Gänzlich nachfühlen kann ich die Worte:

„Wenn ich nicht wüsste, dass ich krank bin, wäre ich gesund – so fühle ich mich.“

Als Leserin stelle ich mich nun darauf ein, tiefer in die „Krebsgeschichte“ des Autors einzusteigen. Doch er springt in seinen Gedanken schnell davon. Vielleicht eine Ablenkungsstrategie seines Unterbewusstseins? Arno Luik lässt uns dann per Grabrede am viel zu frühen Tod seiner schwerkranken Schwester teilhaben. Ein Moment in seinem Leben, der mir als Leserin sehr ans Herz geht und nicht ganz leicht zu verkraften ist. Im nächsten Moment ist der Arno Luik wieder mit seiner eigenen Krankheit beschäftigt und man spürt, wie sich alles in ihm gegen den Krebs – „dieser Drecksau“ – in seinem Körper wehrt.

Die Lesefahrt von Rauhnächte geht sprunghaft weiter. Sie führt über hohe Wellen der Unsicherheit, welche Therapieform für das „Mistviech“, wie Arno Luik seinen Tumor nennt, die Vielversprechendste ist. Doch genauso berichtet der Autor sehr klar und schonungslos über seine Ängste, die er empfindet, wenn er über die Möglichkeit eines schnellen Lebensende duch den Krebs nachdenkt. Es sind Ängste, die ihn häufig zur Nacht heimsuchen. Es sind Worte, die mir als ehemalige Krebsbetroffene sehr vertraut sind, die aber vielleicht nicht jeder Menschen in dieser Deutlichkeit verkraften kann.

Krieg, Krebs und keine Königin Elisabeth: Eine Krise kommt selten allein

Immer wieder schweifen die Gedanken von Arno Luik vom Krebsthema ab. Hin zu den Themen, die den Autor als Journalisten und als Menschen beschäftigen. Plötzlich lässt er uns an seinen Fragen und Gedanken zum weltpolitischen Geschehen in dieser verrückten Zeit teilhaben und teilt spannende Einblicke in seine lange, erfolgreiche Karriere als Journalist. So erfährt man viel über die mittlerweile sehr stark veränderte Arbeit in der Medienwelt und kommt ins Grübeln, wenn man liest, wie investigative Berichte und konträre Meinungen an vielen Stellen im Einheitsbrei der medialen Berichterstattung gar nicht mehr gewünscht, oder zugelassen werden. Meine Wenigkeit, die seit vielen Jahren als Pressesprecherin mit den Medienschaffenden zu tun hat, nickt heftig und voller Zustimmung bei diesen Passagen.

Zwischendurch folgen immer wieder Gedanken des Autors zum Umgang mit den Klimaklebern und unserer Sprachkultur. Arno Luik teilt seine Einsichten und Meinungen zum Ukraine-Krieg, sowie Auszüge aus Interviews mit prominenten Persönlichkeiten und Politikern der Zeitgeschichte. Gedanken an Annalena Baerbok reißen ihn regelmäßig aus dem Schlaf und es braucht keine leuchtende Kristallkugel, um als Leserin zu erahnen, dass er und die aktuelle deutsche Außenministerin in diesem Leben wohl keine Freunde mehr werden.

All diese Themen waren für den Journalisten jahrzehntelang Tagesgeschäft. So bedrückend aufregend. So herrlich normal. Mittlerweile im Ruhestand, könnte Arno Luik diese Themen jetzt süffisant von der Seitenlinie aus kommentieren. Wenn da… ja, wenn da nicht dieser Krebs wäre. Dieses Mistviech in seinem Körper.

Alles relativ!

Alles relativ. Diese Worte schwirren mir beim Lesen immer wieder durch den Kopf. Wenn die Krebserkrankung einen Menschen in diesen „merkwürdigen Zeiten“ in die andere Welt – die Welt der bewussten Endlichkeit – wirft, dann erscheinen alle weltlichen Erfolge, Niederlagen und Probleme in einem anderen Licht. Und dieses Licht der Erkenntnisse, so scheint es mir, ist für uns Krebsbetroffene ähnlich hell oder dunkel. Je nachdem, in welcher Phase der Erkankung man sich befindet. So sehr mich als Leserin manche Ansichten des Autors zum Weltgeschehen von ihm trennen, so sehr fühle ich mich mit ihm in seinen Erfahrungen, Lebensfragen, Ängsten und Sorgen rund um die Krebserkrankung verbunden.

Rauhnächte: Ein Buch der ehrlichen Worte

Die rund 190 Seiten von „Rauhnächte“ haben mich definitiv gefesselt. Und doch konnte ich sie nicht in einem Stück lesen. Denn die Worte des Autors haben viele Emotionen in mir bewegt und klingen immer noch nach. An vielen Stellen muss man stark genug sein, für die tiefen, ehrlichen Gedanken des Arno Luik und sich fragen, wieviel Wissen, Meinungen und Erkenntnisse rund um die Krisenthemen „Klimakatastrophe, Krieg, Krebs, Korona und keine Königin Elisabeth“ der eigenen Seele guttun.

Dieses Buch sei jedoch jedem empfohlen, der sich einmal mit einem kritischen Journalistenblick diesen großen „K-Themen“ annähern möchte. Und dem Menschen Arno Luik. Denn dieser scheint durch jeden Satz hervor – egal ob es um Krebs oder Krieg geht.

2 Gedanken zu “Buchrezension: Rauhnächte

  1. Nella schreibt:

    Liebe Susanne,

    leider haben wir uns bei der Leipziger Buchmesse 2023 verpasst, dass sollte im nächsten Jahr anders werden :-).

    Zu deiner wundervollen Rezension. Es ist doch immer wieder spannend, wie anders und dann doch ähnlich die Perspektiven, unsere Perspektiven in diesem Fall, sind.
    Auch ich bin, wenn auch auf anderen Wegen, zu dem selben Schluss gekommen wie du:
    Das Buch hat viel in mir bewegt. Ich war gleichermaßen gefesselt wie angerührt

    Wer mag, kann gerne auch meine Rezension zu den „Rauhnächten“ lesen: https://www.zellenkarussell.de/arno-luik-rauhnachte-rezension-nella-rausch/

    Herzlichst
    Die Nella aus Berlin

    • Red & Welly schreibt:

      Liebe Nella,
      ja, das mit dem Treffen müssen wir in jedem Fall nachholen :-)
      Deine Rezension habe ich gelesen. So spannend, was Worte in unterschiedlicher und irgendwie gleicher Form bewegen können. Danke dir für den Link an dieser Stelle!
      Herzlichst, Susanne

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