Alles auf Anfang

Ich hatte es wirklich geschafft auf den Leuchtturm zu kommen, hatte all meine Kraft und meinen Lebenswillen in die vergangenen Monate gesteckt, um dieses Ziel zu erreichen. Nicht nur das Ziel, nach neun Jahren Beziehung endlich „Ja“ zu meiner besseren Hälfte sagen zu können, sondern auch das Versprechen einzulösen, bis zu diesem Tag wieder gesund zu sein.

Knapp ein Jahr war es her, dass die K-Diagnose mein ganzes Leben verändert hatte. Nicht nur, weil dieser eine Moment  meine gesamten Vorhaben und Pläne komplett infrage gestellt, sondern auch meine gesamten Hochzeitsplanungen über den Haufen geworfen hatte. Eine aufwendige Hochsteckfrisur war das erste, was ich in Bezug auf mein Braut-Dasein über Bord geworfen hatte. Die Therapie würde wohl dazu führen, dass ich – was meine Haarpracht anging – wohl das nehmen musste, was da kommt. Mehr als 2 cm, so wurde mir aus recht zuverlässiger Quelle vorhergesagt, dürfte ich wohl nicht erwarten bis zu unserem Trautermin.

Und so beschlossen mein Zukünftiger und ich, nicht nur meine Haarpracht, sondern unsere gesamten Hochzeitspläne erst einmal auf das Wesentlich zu reduzieren – nämlich auf das „Ja“ zueinander sagen in engstem Kreise. Der Termin im Standesamt des Leuchtturms war ohnehin schon seit Monaten fest gebucht; ein Traum aus Kindheitstagen war es, einmal auf einem Leuchtturm zu heiraten. Und ich dachte gar nicht daran, mir diesen Traum durch die Krankheit vermiesen zu lassen. So trug mich dieser Gedanke, die Vorbereitung, die Vorfreude – durch die gesamte Zeit der Therapie. Die regelmässigen Chemie-Cocktails und Bestrahlungen waren leichter zu überstehen mit dem Bild des Leuchtturms im Kopf. Die rot-weissen Signalfarben des Leuchtfeuers vor einem blauen Himmel mit weissen Quellwölkchen, unsere kleine Hochzeitsgesellschaft auf dem Weg durchs Deichvorland und das Gefühl, stärker als die Krankheit gewesen zu sein, begleiteten mich auf meinem Weg. Und das mit Erfolg, denn nun stand ich da – offiziell gesund – in meinem Hotelzimmer kurz vor der Abfahrt zum Leuchtturm. Weisses Kleidchen, roter Blazer, eine Haarlänge, die noch nicht Frisur genannt werden konnte, aber mehr als ausreichend war, um das unechte Zweithaar der letzten Monate wieder einzumotten. Die Wettervorhersage hatte ein schönes Spätsommerwochenende in ganz Deutschland angekündigt mit ein paar lokalen Schauern an der See.

Gummistiefel_HochzeitUnd an dieser Stelle traten die roten Gummistiefel in mein Leben, denn die lokalen Schauer dieses Tages entpuppten sich als dauerhafte Nasszelle, die unsere Hochzeit den gesamten Tag begleitete und uns in regelmässigen Abständen kalte Schauer in den Nacken jagten. So war das ja eigentlich nicht geplant. Mir war zwar bewusst, dass man an der Nordsee mit jedem Wetter rechnen muss, aber in meinen Gedanken rund um schönsten Tag im Leben hatten sich eigentlich immer nur Sonnenschein und milde Temperaturen getümmelt. Die roten Gummistiefel hatte ich mir lediglich als Notlösung einige Tage vor der Hochzeit noch im Internet bestellt in der festen Annahme, dass sie bestimmt nicht zum Einsatz kommen würden. Getreu dem Motto: Wenn ich einen Regenschirm mitnehme, dann regnet es nicht! Tja, das war wohl nix: bei 15 Grad und Sprühregen konnte ich meine rot-weiss gestreiften Ballerinas wohl im Schrank lassen, wenn ich mir nicht eine ordentliche Erkältung einfangen wollte.

Und so marschierte ich los in meinen Hochzeitstag, der so vollkommen anders war, als ich ihn mir ausgemalt und geplant hatte. Ich vielleicht genau deswegen war es auch der mit Abstand schönste Tag in meinem bisherigen Leben, denn allen Schlechtwetter-Perioden zum Trotz habe ich mithilfe meiner zahlreichen Helferlein das Allerbeste aus diesem Tag gemacht. Genauso wie es während meiner Krankheit der Fall war: das schlechte und trübe Wetter in meinem Körper hatte ich definitiv nicht geplant. Das Leben hat es anders mit mir gemeint. Und letztendlich bin ich dankbar für meine Red Wellies, meine Roten Gummistiefel, die für all meine Begleiter, Helfer, Ärzte, Therapien und meinen eigenen Optimismus stehen. Denn auch wenn ich auch im Traum nicht damit gerechnet hätte, dass ich ihre Hilfe so schnell so stark in Anspruch nehmen muss, so haben sie mich am Ende doch sicher und trockenen Fusses zum Leuchtturm gebracht. Das tief empfundene Gefühl der Dankbarkeit für diese Hilfe von Red und Welly kann ich kaum in Worte fassen und trotzdem stellt sich am Ende die Frage: Wohin geht’s als nächstes?

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