Sie ist wieder da, die Angst. Davor, dass der Krebs zurückkehrt. Davor, dass mich eine andere schlimme Krankheit ereilt. Davor, dass mich etwas Unvorhergesehenes wieder ungefragt aus meinem Leben reisst. Meinen mühevoll zurückeroberten, selbstbestimmten Alltag wieder in tausend Stücke zerschmettert.
Ich bemerke sie schon seit Wochen. Immer wieder, immer mehr ist sie in meinen Körper gekrochen. Hat sich in meinem Nacken und auf meiner Brust festgekrallt, mir die Luft zum Atmen genommen.
Dabei hat mein Kopf wirklich versucht, den Kampf über dieses beherrschende Gefühl zu gewinnen. Er hat versucht, die immer wieder auftretenden Schmerzen im Körper zu erklären, zurückzuführen auf Verspannungen, zu wenig Schlaf, zu viel Arbeit vor dem Computer oder einfach nur das Wetter. Alle ärztlichen Untersuchungen wollten Unterstützung leisten. Die letzte Blutkontrolle: tipp topp. Tumormarker: ganz tief. Der letzte Ultraschall: 1a-Narbengewebe. Doch nichts wollte etwas nützen. Weder Akzeptieren noch Ignorieren konnten die Angst von ihrem Hoheitsthron vertreiben.
Zu guter Letzt hat sie sich sogar noch Verstärkung von ihrer grossen Schwester, der Panik, geholt. Bei der Arbeit hat sie mich besucht. Vollkommen unerwartet. In der Mittagspause hat sie mich auf einmal umarmt und sich wie ein Korsett um meinen Brustkorb geschnürt. Mir fast den Atem genommen und Sternchen vor meinen Augen gemalt. Als sie wieder gegangen war, hatte sie viel Verzweiflung und Wut hinterlassen und ich fragte mich, warum all die Mittel und Werkzeuge, die ich der Angst entgegenbrachte, nicht geholfen hatten, um mit ihr fertig zu werden. Ich habe doch in den letzten zwei Jahren wirklich versucht, den Krebsschock zu verarbeiten, hatte lösungsorientiert gemalt und beim achtsamen Meditieren versucht, die Krankheit und all das, was sie mit sich bringt, einfach zu akzeptieren. Sollte das etwa alles umsonst gewesen sein?
Es war mein Mann, der mich mit recht wenigen Worten wieder auf den Boden holte:
„Weisst du, vielleicht solltest du aufhören zu analysieren und statt dessen einfach mal wieder leben!“
Einfach. Die Einfachheit im Leben zu finden, finde ich eben gar nicht so einfach. Und so sehr ich ihm gerne erwidert hätte, dass er doch keine Ahnung habe, wie sich so ein Leben nach dem Krebs anfühlt, so sehr musste ich mir eingestehen (und das mach ich nicht gerne), dass er EINFACH recht hatte. Denn eigentlich ist es genau das, was ich jeden Tag wieder aufs Neue versuche. Es ist das, was ich mir als tägliche Erinnerung für mich selbst zu meinem 34sten Geburtstag auf den Arm tätowieren liess:
Leben ist…
Die ersten beiden Worte meines Lieblingszitates von John Lennon gepaart mit Kirschblüten, die für mich als Frühlingsgeborene eine ganz besondere Bedeutung haben.
Leben ist. Punkt. Es ist einerseits eine Feststellung, dass das Leben einfach IST. Gerade jetzt. In diesem Moment, in dem ich diesen Artikel schreibe. Es ist ein schöner Moment, denn ich schreibe wirklich gerne. Gleichzeitig ist Leben sehr individuell und jeder Mensch beurteilt anders, was für ihn das Leben ausmacht.
Für mich ist Leben in erster Linie meine Gesundheit, die nicht selbstverständlich ist, wie ich bereits erfahren musste. Daher ist Leben für mich auch ein tägliches Gefühl der unbeschreiblichen Dankbarkeit.
Leben ist für mich meine Familie, meine Freunde und all die Menschen, mit denen ich gerne meine Zeit verbringe.
Leben ist, sich ohne über die Konsequenzen nachdenkend einen Jugendtraum zu erfüllen, wie das Tattoo; vollkommen gleichgültig, ob es mir in 20 Jahren noch gefällt, oder die Haut darunter bald Falten schlagen wird.
Leben ist, alle Ängste und Zweifel über Bord zu werfen und hinter meinem Mann auf sein Motorrad zu steigen, um spontan für eine Nacht ins Tessin zu fahren.
Leben ist aber auch, ein Wochenende einfach mal zu Hause zu verbringen und zwischen Balkon und Sofa einfach mal nur „zu sein“.
Leben ist ein (KREISCH!) Robbie Williams Konzert, oder einfach ein Glas Rotwein am See.
Leben ist seit meiner Krebsdiagnose nun aber auch die Tatsache, dass die Angst ab und zu mal an meine Tür klopft und ich hoffe, dass sie die Panik nie wieder mit im Gepäck hat. Ich werde ihr wohl die Tür öffnen müssen, denn das permanente Klopfen und Klingeln kann auf Dauer ja auch keiner ertragen. Ich versuche zu akzeptieren, dass sie an manchen Tagen einfach zu meinem Leben dazugehört, aber ich werde es ihr sicher nicht sonderlich gemütlich machen. Und wer weiss, vielleicht entscheidet sie sich ja dann immer seltener, bei mir vorbei zu schauen.
Liebe RedWellies,
das ist ein wundervoller Beitrag! Danke dafür!
Vielen Dank für den netten Kommentar. Ich freu mich, wenn du wieder einmal vorbei schaust :-)
Das ist ein sehr schöner und wichtiger Beitrag!
Liebe Grüße,
Oliver 2.0
Vielen Dank. Das „Einfach mal Leben“ ist für mich nicht nur eine tägliche Herausforderung, sondern auch in gewisser Weise eine Lebensaufgabe, die versuche jeden Tag umzusetzen. Ist mal leichter, mal schwieriger. Aber es lohnt sich in jedem Fall :-)