Trauma oder Alptraum

Es war wahrscheinlich nur eine Frage der Zeit. Ich musste wohl damit rechnen, dass er mich irgendwann in der Schwangerschaft besuchen würde. Dieser Traum, der mir – glücklicherweise aus ihm erwacht – fast den Atem geraubt hätte. Dieser Traum, der der grösstmögliche gelebte Alptraum wäre, wenn er sich, aus der Dunkelheit der Nacht heraus in mein reales Leben schleichen würde.

Da sind sie, die schwarz-weissen Röntgenbilder meiner Brüste. Ich sehe sie genau in den Händen des Arztes. Es sind die Bilder von der letzten und von der aktuellen Untersuchung meiner beiden kostbaren Weichteile. Sie ist klar zu erkennen, die erneute Veränderung, die nichts Gutes zu bedeuten hat. Da ist er, der Telefonhörer in meiner Hand. Die Stimme eines Arztes, die mir sagt, dass der Tumor wieder wächst und eine erneute Therapie unumgänglich ist.

Meine Gedanken wandern in meinen Körper. Sie machen nicht etwa in meiner Brust halt, wo sich der Krebs wieder ausbreitet. Nicht in meinem Brustkorb, der sich auf unrealistische Weise zusammenzieht. Nein – meine Gedanken stoppen erst in meinem Bauch und drehen sich um das neue Leben, das sich in mir bewegt. Hier sitzt meine grösste Sorge, als ich darüber nachdenke, was eine erneute Therapie für mich bedeuten würde. Meine grösste Angst, eine unmögliche Entscheidung treffen zu müssen: Ich oder du.

Da sitzt er. Mein Onkologe. Ich spreche meine Situation mit ihm durch, die Therapie, die nun anscheinend notwendig ist. Ich schildere ihm meine Angst, dass die Chemotherapie doch vielleicht meinem Baby schaden könnte. Ich stelle die Frage, ob ich nicht noch drei Monate damit warten könne, bis ich es zum Leben gebracht hätte. Mein Leben. Er teilt meine Sorge nicht. Das einzige, womit ich wieder rechnen müsse, wäre der Haarausfall. Sch… doch auf meine Haare!!!

Ich erwache. Schrecke hoch. Sitze (wie sonst nie) senkrecht in meinem Bett. In der Ruhe und Dunkelheit der Nacht.

Mein Atem ist weg. Ich muss ihn erst wiederfinden. Noch fehlt mir die Orientierung. War es wirklich nur ein Traum? Es fühlte sich alles so verdammt echt an. Das Gespräch mit meinem Onkologen, die Schwangerschaft, die Bilder meiner Brust. Doch eine Sache stimmte nicht…

Warum war es eigentlich mein Zahnarzt gewesen, der mir die erneute Brustkrebs-Diagnose am Telefon überbracht hatte?

Ich drehe mich um und sehe meinen Mann, ruhig atmend neben mir im Bett. Ich fühle meinen Bauch und spüre, wie er sich bewegte, der kleine Wurm in meinem Innersten. Mit einem schlechten Gewissen frage ich mich, wie viel er wohl schon jetzt mitbekommen hat, von meinem Alptraum, meinem Trauma. Für uns beide war es in jedem Fall eine unruhige Nacht.

Nach vier Tagen hatte ich meine nächste Ultraschalluntersuchung der Brust.

Es war alles in Ordnung…

Mehr Informationen und Erfahrungen zum Thema Brustkrebs und Schwangerschaft findet ihr hier.

2 Gedanken zu “Trauma oder Alptraum

  1. babs schreibt:

    meine liebe,
    die erfahrungen mit dem krebs sind nachhaltiger, wie man es glauben mag. diese lebenserfahrung hat man für sein ganzes leben.
    super finde ich erst mal „das alles in ordnung ist“. noch schöner, dass es auch deinem baby gut geht. und ich bin nun wirklich mal neugierig:“ wann erwartet ihr denn den kleinen menschen?“
    ein kind zur welt zu bringen ist eine völlig neue erfahrung……

    ich wünsche dir, dass diese alpträume verschwinden………..

    alles,alles liebe
    babs

    • Red & Welly schreibt:

      Liebe Babs
      Vielen Dank für deine so lieben Worte. Ja, der Traum kam vielleicht grad deshalb, weil die Kontrolle wieder bevorstand. Die Angst schwingt halt doch immer wieder durch die Hintertür mit. Aber das kenne ich ja bereits, auch wenn ich mir manchmal wünschen würde, sie komplett hinter mir lassen zu können.
      Umso schöner ist es aber, dass der Blick nach vorne positiv zu sein scheint und er eigentlich nur von Vorfreude geprägt ist. Unser neues Leben wird zum Herbstbeginn das „Alte“ ablösen und so hoffentlich auch die Krebserfahrung wieder ein Stück mehr hinter mir lassen.
      Ich freue mich und werde berichten (wenn ich hoffentlich noch die Zeit zum bloggen finde ;-))
      Herzliche Grüsse, Susanne

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