1.000 und 1 Meinung

„Da ist was. Das müssen wir abklären.“

„Ach, machen Sie sich keine Sorgen. Wir sind Berufspessimisten.“

„Ja, es tut mir leid. Es ist wirklich Brustkrebs.“

„Mit Kindern wird es wahrscheinlich schwierig bei Ihrer Therapie.“

„Die Wahrscheinlichkeit, dass Sie nach der Behandlung noch Kinder kriegen können, liegt in Ihrem Alter bei ca. 60 Prozent.“

„Haben Sie sich genetisch abklären lassen? Sie sind ja noch wahnsinnig jung für Brustkrebs.“

„Ach wissen Sie, das mit der Genetik ist so eine Sache. Mann kann heute schon ziemlich viel herausfinden mit der genetischen Bestimmung. Aber es ist eine Frage, ob Sie es wissen und eine andere, ob Sie mit diesem Wissen umgehen können.“

„Frau P. zeigt sich nach den 4. Chemozyklus in gutem Allgemeinzustand. Probleme mit den Schleimheuten. Müdigkeit, Erschöpfung. THERAPIEMÜDE! Depression.“

„Die Therapie haben Sie insgesamt aber gut weggesteckt.“

„Die Wahrscheinlichkeit für einen Rückfall ist bei einem Triple Negativen Tumor statistisch in den ersten zwei Jahren am höchsten. Danach nimmt das rapide ab. Aber trotzdem habe ich Patientinnen hier nach 8 Jahren wieder sitzen.“

„Kleine Unsicherheit im Narbengewebe.“

„Das sollten wir in einer MR-gesteuerten Biopsie trotzdem abklären lassen. Sie sind ja noch so jung.“

„Ich glaub, das Thema Brustkrebs können Sie für sich abhaken.“

„Warum haben wir damals eigentlich kein CT bei Ihnen gemacht. Das macht man eigentlich bei so jungen Patienten, wie Sie es sind.“

„Die Mammografie zeigt einfach die normalen Verkalkungen. Alles unauffällig.“

„Wir sollten bei der nächsten Kontrolle trotzdem mal wieder ein MRI einplanen. Triple Negativ und Sie sind ja noch so jung.“

Seit nun fast 9 Jahren bewege ich mich mittlerweile durch das Feld der Brustkrebstherapien und Nachkontrollen. Und wieder einmal stand bei mir der halbjährliche Ultraschall-Kontrolltermin in dieser Woche auf dem Plan. Ein Termin, den ich auch nach so langer Zeit noch wahrnehme, da das, was von meiner linken Brust erhalten ist, per Abtasten nicht mehr beurteilt werden kann. Operation und Bestrahlung haben mit der Zeit dazu geführt, dass das Gewebe in meiner Brust wie ein Stein verhärtet ist. Und so sitze ich auch nach so vielen Jahren noch alle sechs Monate auf dem Konrollsessel der Radiologen und hole mir den aktuellsten Befund meiner Brüste ab.

„Alles in Ordnung dieses Mal, aber…“

Fast neun Jahre ist es her, dass mein Vertrauen in meinen Körper und meine Gesundheit von Grund auf erschüttert wurden. Seitdem versuche ich, Verlorenes wiederzufinden: ein Gefühl von Sicherheit, Vertrauen, den Glauben daran, dass die Krebsgeschichte für mich mein Happy End behalten wird. Die Einschätzungen und Aussagen der Mediziner und Pflegekräfte, die mich in dieser langen Zeit bereits begleitet haben, haben da eine sehr wichtige Rolle gespielt.

Die ersten Jahre nach der abgeschlossenen Behandlung brauchte ich regelmäßig meine Dosis Arztmeinung. Die Aussage von jemandem, der es ja wissen muss, dass ich das Thema Krebs abhaken kann. Ohne diese Aussage war ein Gefühl von Sicherheit in meinem Leben gar nicht möglich. Und ohne dieses Gefühl kam in regelmäßigen Abständen die Angst und manchmal auch die Panik zurück.

Die Aussagen oben im Text sind nur ein Bruchteil der Einschätzungen, die mich bis heute betreuen und  betreut haben. Vieles von dem konnte ich nicht fassen, einiges von dem wollte ich glauben, oder auch nicht. Der Befund eines Radiologen, der mir unbekannterweise nach 5 Jahre eine „kleine Unsicherheit im Narbengewebe“ attestierte, hat zu einer zweistündigen Tortur der MR-gesteuerten Biopsie sowie zu 14 Tagen mit schlaflosen Nächten geführt, um schlussendlich die Unsicherheit als reines Fettgewebe zu entlarven. Ich habe mich leiten lassen von dieser Einschätzung und der Empfehlung, diese „Unsicherheit“ lieber aufgrund meines Alters und der damals noch jungen Mutterschaft sicherheitshalber abklären zu lassen. Und das, obwohl mein Bauchgefühl innerlich geschrien hat, dass alles in Ordnung wäre.

Mittlerweile habe ich mir durch viele Therapiesitzungen und hunderte Gespräche sowie durch das jahrelange Schreiben und einer täglichen Meditationspraxis wieder ein inneres Gefühl von Zuversicht und Vertrauen erarbeitet. Die Kontrollen durch Mammografie, Ultraschall und MRI sehe ich für mich eigentlich nur noch als Bestätigung meiner Gesundheit, nicht der Krankheit.

Und genau an dieser Stelle kollidiere ich mit dem medizinischen System, denn bei jeder Kontrolle meiner weiblichen Organe geben mir meine Ärzte den Eindruck, dass sie das nicht so sehen. Die neue Frauenärztin, die ich seit meiner Rückkehr nach Deutschland mit meiner so jungen Krebsgeschichte betraut habe, hat mir bei meinem letzten Termin den Vorschlag unterbreitet, doch vorsorglich über eine Entfernung der Eierstöcke nachzudenken. Ich käme ja nun in die 40er und da ja niemand so genau wüsste, warum ich in so jungem Alter an Krebs erkrankt bin, wäre das doch vielleicht eine Möglichkeit, um das Risiko einer weiteren Erkrankung zu minimieren. Und das, obwohl all meine gynäkologischen Vorsorgeuntersuchen bis anhin immer unauffällig waren und ich keine familiäre Vorblastung zeige.

Und ich frage mich: hab nur ich das Gefühl, dass mir hier der Erhalt meiner Gesundheit wie im Sommerschlussverkauf angepriesen wird? Ist es wirklich nicht möglich, ohne den medizinischen Kontrollaparat gesund zu bleiben?

Auch meine neue Radiologin gab mir beim Ultraschall in dieser Woche den Hinweis, dass wir mit einem MRI mal wieder genauer bei meinem Brüsten hinschauen sollten. So, als ob sie etwas herbeireden oder erwarten würde. Mir ist klar, dass die Herrschaften es alle nur gut mit mir meinen, aber ich merke, wie durch meine Nachkontrollen immer wieder Ärger in mir aufkocht. Denn ich werde das Gefühl nicht los, dass das medizinische System Krebs mir einfach nicht zugestehen möchte, dass ich nach einmaliger Krankheit nun wieder gesund bin und bleibe.

Es ist immer wieder ein Drahtseilakt: welche Arztmeinung nehme ich an und welche lass ich einfach links liegen!? Was ich mittlerweile aber für mich erkannt habe: es sind einfach alles nur MEINUNGEN gefärbt mit der persönlichen Konstitution des jeweiligen Mediziners, der vor mir sitzt. Irgendwo dazwischen befindet sich dann auch noch meine eigene. Manchmal stimmen sie überein und manchmal auch eben nicht.

Klar ist: die Wahrheit kennt ohnehin nur mein Körper, oder der Liebe Gott!

2 Gedanken zu “1.000 und 1 Meinung

  1. Yael Levy schreibt:

    Vielen Dank für diesen sehr gedankenanregenden Einblick in deine Gefühle und Erfahrungen. Ich verstehe dich gut, auch ich habe mit Schrecken schon mehrere „falscher Alarm“ Aktionen über mich ergehen lassen, seit ich Brustkrebs hatte. Ausserdem stelle ich immer wieder verwundert fest, dass sämtliche Ärzte, allen voran der Onkologe, immer gleich spurten und bei jedem meiner Wehwehchen alle auch nur möglichen Tests anordnen.
    Eigentlich habe ich ähnliche Erfahrungen schon bei allen drei meiner Schwangerschaften gemacht: immer war da etwas Verdächtiges, das unbedingt abgeklärt werden musste und das mich für Wochen in Panik versetzte. Schlussendlich war es immer nichts und erst in der dritten und letzten Schwangerschaft habe ich begonnen, alles etwas lockerer zu sehen. Ich möchte aber doch nicht in die Zeiten meiner Mutter zurückkehren, die fünf (zum Glück gesunde) Kinder zur Welt gebracht hat, ohne irgendetwas abklären zu lassen. Nicht immer geht alles gut und ich bin froh, dass wir heute ein gut ausgebautes Gesundheitssystem haben und Krankheiten früh erkennen und behandeln können. Auch wenn die Ärzte manchmal etwas zu vorschnell die grossen Kanonen auffahren. Auf unser Bauchgefühl ist leider nicht immer Verlass.

    • Red & Welly schreibt:

      Vielen Dank für deine so umfassenden Kommentar. Ja, es ist immer wieder ein schmaler Grad zu entscheiden, wann große Abklärungen nötig und notwendig sind. Auch für die Mediziner ist das sicherlich nicht leicht und ich denke, dass sich die Ärzte lieber einmal mehr versichern, dass alles gut ist, als irgendetwas übersehen zu haben. Und bei einem gebe ich dir auch zu 100 Prozent Recht: wir können uns glücklich schätzen, dass wir so ein gutes Gesundheitssystem haben!!!!!

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