Zwischen den Welten

„Ich habe mich die letzten zwei Jahre fast ausschließlich in der Welt der Gesunden aufgehalten. Und irgendwie habe ich das Bedürfnis, mich wieder einmal mit der Patientin in mir zu verbinden.“

Schweigen

„Klingt vielleicht verrückt, aber ich habe irgendwie das Gefühl, nicht ganz komplett zu sein, wenn ich meinen Alltag so lebe, wie momentan. So normal, als ob nie etwas gewesen wäre.“

„Kann ich verstehen.“

So, oder so ähnlich verlief vor einigen Wochen ein Gespräch zwischen mir und meinem Mann, als wir abends auf dem Sofa saßen. Surfend durch das Netz. Jeder in seinen Themen vertieft. Ich zeigte ihm die Seite von einer „Heldinnenreise„, die ich im nächsten Jahr gerne planen würde und so sprachen wir mal wieder über meine andere Welt.

Heute feiere ich wieder meinen jährlichen Diagnose Day. Neun Jahre sind seit dem Tag meiner Brustkrebsdiagnose vergangen und ich kann glücklicherweise sagen, dass die Zeit bereits in weite Ferne gerückt ist.

Den größten Teil des Tages beschäftigen mich die klassischen Herausforderungen einer 40-jährigen, teilzeitarbeitenden Mutter und Frau, die gleichzeitig noch versucht, ihre Lebensträume zu finden und umzusetzen. Und doch – so ist meine Bilanz nach neun Jahren – muss ich mir eingestehen, dass es für mich irgendwie kein komplettes Zurück mehr gibt in meine Alltagswelt und ich irgendwie immer noch das Gefühl habe, emotional und physisch zwischen zwei Welten zu penden. Zwischen der,  einer gesundeten Person und der Krebspatientin in mir.

Das erste Jahr nach der abgeschlossenen Therapie war schwierig. Ich wurde in einen Alltag und einen Job zurückgeworfen, den ich zwar kannte, aber irgendwie in dieser Form nicht mehr wollte. Und so traf ich die Entscheidung, mich zumindest beruflich zu ändern. Was dann folgt, war ein neuer Berufsalltag in der klinischen onkologischen Forschung. Ein erweitertes Wissen über Krebs und seine Entstehung, die tägliche Konfrontation mit allen Arten von Patientenschicksalen, die Möglichkeit, einmal auf die „andere Seite“ zu wechseln (die der Studienkoordinatorin und Beraterin) und das Thema Krebs offen auszusprechen, ohne Tabus und komische Reaktionen – mehr Krebs ging nicht. Es war eine gute Zeit, oft schwer, aber auch heilend. Dann kam mein Sohn zur Welt und brachte mich in eine neue Art von Leben. Ein Familienleben mit einer neuen Rolle der Mutter, die ich eigentlich bereits von meiner Agenda gestrichen hatte. Seitdem liegt mein Fokus nicht mehr ausschließlich bei meinem Wohlbefinden, sondern auf dem meiner ganzen Familie.

Sechs Jahre nach meiner Erkrankung hatte ich auch vom onkologischen Berufsalltag eine Überdosis erhalten und entschied mich für einen Rückzug mit meiner Familie nach Deutschland. Auch die Patientin in mir habe ich damals ein Stück in Zürich zurückgelassen. Ein neuer Job in der Kommunikation eines Krankenhauses, ein anderes Gesundheitssystem und neue Ärzte, die mich und meine Krebsgeschichte nur aus den Akten kannten. Kein Kontakt mehr zu gleichsinnten Frauen, wie meine Achtsamkeitsladies, mit denen ich mich regelmäßig zum Austausch unter geheilten Patientinnen getroffen hatte. Und so hatte auch die Patientin in mir für einige Zeit Pause.

Doch nun schreit sie wieder, will Gehör finden und ich muss mir eingestehen, dass ich mich nach so langer Zeit immer noch zwischen zweit Welten pendele. Doch mein Wunsch wird stärker, dass ich diese Welten irgendwie für mich vereine.

„Krebs ist eben kein Smalltalkthema und das ist auch okay“, sagt mir mein Mann oft.

Verständlich! Und doch spüre ich häufig das Bedürfnis, das Thema Krebs in der Gesellschaft mit weniger Tabu kommunizieren zu können. Für mich ist der Krebs mittlerweile einfach eine Lebenserfahrung, die mich stark geprägt hat; keine Schublade, in die ich mich stecken lassen möchte. Und so arbeite ich daran, offen in meinem Umfeld mit diesem Thema umzugehen, sofern sich das Gespräch dahin entwickelt. Bei der Arbeit, sowie im Gespräch mit den Nachbarn. Das Gefühl der Scham abzulegen, war ein langer Prozess…

Und dann habe ich wieder eine Brustkrebs-Vereinigung gesucht, mit der ich mich verbinden kann und bin bei „Lebensheldin! e.V“ fündig geworden. Eine gemeinnützige Initiative, die sich für die Brustkrebs-Prävention und ein Bewusstsein,  die Heilung und ein glückliches, gesundes Leben während und nach der Therapie  einsetzt. Mit diesen Lebensheldinnen plane ich nun meine eigene Heldinnenreise in 2021 und hoffe, dass Corona in dieser Zeit gnädig mit uns sein wird. (unbezahlte Werbung aus Überzeugung)!

Was mir nun bleibt am heutigen Diagnose Day, ist mal wieder eine riesige Portion Dankbarkeit für mein Glück, am Leben zu sein und die Möglichkeit, diese Tatsache innerlich und äußerlich zu feiern!

Auf das Leben und die Gesundheit!!!! Bleibt gesund! Eure Susanne

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