Es ist Montagmorgen im Wartezimmer des Brust-Zentrums. Irgendwo in Zürich. Ich sitze hier und warte. Versunken in meinen Gedanken. Wie oft habe ich hier schon gesessen und gewartet. Auf eine Diagnose, eine gute Prognose, eine neue Therapie, eine weitere Mammografie, auf die Bestätigung meiner Hoffnung und auf das Überwinden meiner Angst. Soviel ist passiert in meinen Gedanken innerhalb dieser kleinen vier Wände. Die „K-Zeit“ von damals wird jedes Mal wieder ein Stück lebendig. Jedes Mal, wenn ich in diesem kleinen Wartezimmer sitze. Ich ertappe mich dabei, wie ich die anderen Patientinnen beobachte, die neben und mir gegenüber sitzen. Heute, wie damals, frage ich mich, welche Brustkrebsgeschichte sie hierher treibt. Befinden sie sich noch im „Leben davor“ oder bereits „danach“? Hat die Krankheitserfahrung sie stark in ihrem Leben verändert? Reden sie darüber, oder machen sie so weiter, wie zuvor? Warten sie heute – so wie ich – auf die Nachsorge, oder stehen sie noch vor ihren Sorgen?
„Da daaa!“ reisst es mich plötzlich aus meinen Gedanken und ich blicke in die Augen meine Sohnes, der vor mir in seinem Kinderwagen liegt und im gleichen Moment seine kurzen Ärmchen samt Nuscheli-Tuch wieder hoffnungsvoll vor sein Gesicht hält.
„Wo bist du?“, steige ich schnell in das Spiel ein.
„Daaa!“, quiekt es mir fröhlich entgegen.
Dieses Spiel dauert eine gefühlte Ewigkeit. Im kleinen Wartezimmer des Brust-Zentrums. Von dieser puren Lebensfreude kann ich kaum genug kriegen. Sofort bin ich im „Hier und Jetzt“ und geniesse die Kommunikation mit meinem neuen Leben, die mir so viel Energie gibt und mir vor Augen führt, dass nur der Augenblick zählt.
Bis ein Lachen neben mir meine Aufmerksamkeit auf sich zieht. Ich blicke mich um und sehe, wie alle Menschen in diesem Wartezimmer mit Freude unser „Guckuck – daaa“-Spiel verfolgen. Das ältere Paar neben mir ist ganz entzückt, wie sich mein Sohn jedes Mal scheckig lacht, wenn er sich von mir ertappt fühlt. Ein warmes Gefühl der Freude und des Stolzes durchfahren mich und ich hoffe, dass diese kleine „Showeinlage“ jeden dieser Menschen im Wartezimmer einen kleinen Moment von den eigenen Sorgen und Ängsten abgelenkt hat.
Ich blicke wieder zu meinem Sohn, der sich mittlerweile wieder interessiert seinem Nucki zugewendet hat. Es ist einer dieser Momente, in denen mir wieder einmal bewusst wird:
„Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt.“ (Wilhelm Busch)
Wie oft habe ich in diesem Wartezimmer gesessen und mir gesagt, dass ich doch eigentlich gar nicht hierher gehöre? Wie oft musste ich meine Trauer und Wut herunterschlucken und mich während meiner Therapiezeit mit Freundinnen über ihre glücklichen Babynews freuen? Scheinbar schnell hatte ich mich damit abgefunden, dass das Leben wohl einen anderen Plan mit mir vorhatte, als Mutter zu sein. Hauptsache leben eben. Und doch war tief in mir ein kleiner Funke namens Hoffnung, dass sich die Kinderfrage vielleicht doch noch nicht ganz für mich erledigt hätte.
Diese Zeit – sie fühlt sich an, als wäre sie erst gestern gewesen. Und gleichzeitig ist es für mich so unwirklich, dass ich die Erfahrung einer Brustkrebserkrankung in so jungen Jahren bereits hinter mir habe. Ich durfte aus diesem schlimmen Alptraum wieder erwachen und langsam aber zögerlich lichtet sich der dunkle Schleier der Erinnerungen.
Als mich meine neue Ärztin nach einer halben Stunde im Wartezimmer in den Ultraschallraum bittet, entschuldige ich mich dafür, dass ich mein Kind aufgrund der fehlenden Betreuungsmöglichkeiten mitbringen musste. Warum entschuldige ich mich eigentlich?!
„Gar kein Problem. Noch so gerne. Kinder haben wir hier viel zu selten.“, entgegnet sie mir freundlich. Recht hat sie!
Als das Ultraschallgerät wie gewohnt über meine Brüste gleitet, sprechen wir hauptsächlich über das neue Leben, das immer noch geduldig im Kinderwagen liegt und an seiner Maisstange saugt. Und zum ersten Mal fokussiere ich mich während meiner Kontrolle nicht auf mich und meine Angst. Durch das Verharren in meiner Mutterrolle bin ich in diesem Moment so abgelenkt, dass ich fast überrascht bin, als es am Ende heisst:
„Es ist alles in Ordnung.“
Freut mich sehr, dass alles in Ordnung ist! Ich habe jetzt schon Angst vor dieser ersten Nachkontrolle, die erst in einigen Monaten stattfinden wird. Ich wünsche dir weiterhin viel Freude mit deinem kleinen Sohn. Übrigens habe ich dich bei mir verlinkt und würde mich freuen, wenn du das mit meinem blog auch machst.
http://brustkrebsgeschichten.blogspot.co.il/
Liebe Yael. Vielen Dank für deine lieben Worte und alles Gute für die Nachkontrollen! Gern hab ich deinen Blog in meine Linksammlung mit aufgenommen. Liebe Grüsse